Europa, ein Kontinent in der Krise, braucht die Christen mehr denn je, um neue zukunftsfähige Ideen und Mentalitäten zu entwickeln und deren Verwirklichung voranzutreiben. “Europa – wohin? Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft”. Prof. Tomas Halik, wollte dabei in seinem Vortrag die Christen als “schöpferischen Minderheit” verstanden wissen. Halik rief die Kirchen auf, neue Wege zu beschreiten. “Das Christentum von gestern kann schwerlich eine Hoffnung für das Europa von heute oder morgen sein.” Ces nouveaux chemins sont à trouver dans toutes les institutions, elles ne peuvent le faire qu’ensemble
Aus den gegenwärtigen Entwicklungen gehe jedenfalls hervor, “dass die Säkularisierung nicht das letzte Wort der geschichtlichen Entwicklung sein wird”. Freilich: Nach den Worten des Prager Wissenschaftlers und katholischen Priesters ist zugleich das Zeitalter der Volkskirchen vorüber. “Ich bin nicht der Ansicht, dass diese Entwicklung durch irgendeine Neuevangelisation rückgängig gemacht werden kann”, so Halik.
Für die Kirche komme es darauf an, die therapeutische Stärke des Glaubens zu betonen und zur Kultivierung eines sozialen Klimas beizutragen, in dem die Würde des Menschen zentral sei. “Hier kann sie der Demokratie einen großen Dienst erweisen”, zeigte sich der Priester und Soziologe überzeugt.
Halik äußerte sich lobend über das Wirken von Papst Franziskus. Dessen Pontifikat könne zum Beginn eines neuen Kapitels im Christentum werden. Der Papst hebe Themen hervor, die bisher eher Schatten gestanden hätten, etwa Barmherzigkeit, Solidarität mit den Armen, Engagement für die Umwelt sowie Verständnis für Menschen, “die sich in moralisch komplizierten Situationen befinden”. Franziskus führe die Kirche in einer Zeit der epochalen Wende. Nach der Moderne komme nun ein Zeitalter der radikalen globalen Pluralität, so der Theologe. Papst Franziskus sei in dieser Situation weit über die katholische Kirche hinaus inspirierend für viele Christen.
Deutliche Worte fand Halik für so manche – von ihm auch namentlich genannte – “populistisch-nationalistischen” Politiker in Osteuropa: Viktor Orban (Ungarn), Milos Zeman (Tschechien) und Robert Fico (Slowakei) würden mit “Angst und Dummheit” handeln bzw. profitieren. Populistische Politiker hätten die besondere Gabe, das zum Ausdruck zu bringen, “was Menschen denken, die nicht denken”. Populismus und Nationalismus seien aber beileibe keine auf Ost-/Mitteleuropa beschränkten Phänomene, so der Theologe, der u.a. auf den “Brexit” und die Wahl Donald Trumps in den USA verwies.
Scharfe Kritik übte Halik weiters am autoritären Kurs des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dessen außenpolitisches Hauptziel sei der Zerfall der Europäischen Union bzw. der transatlantischen Allianz, so Halik. Deshalb auch Putins Unterstützung für nationalistische Bewegungen in Westeuropa und die gezielte Verbreitung von Desinformationen, “um Angst und Spaltungen in den westlichen Gesellschaften zu schaffen”.
Die europäische Krise ist nach dem Befund Haliks weniger eine ökonomische als vielmehr eine geistige Krise. “Die Menschen haben Angst vor einem Identitätsverlust in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt.” Viele Politiker, die sich für den Schutz des sogenannten “christlichen Europas” einsetzen, “haben sicher noch nie eine Bibel in der Hand gehalten”. Ihr Credo sei “der Hass gegen Muslime, Liberalität, die EU und Homosexuelle”, so Halik wörtlich. Die Christen müssten dieser Entwicklung entschieden entgegentreten. Comment??
Trotz aller säkularen Tendenzen seien die Kirchen immer noch die größte zivilgesellschaftliche Institution in Europa. Darauf wies die Wiener Sozialethikerin Prof. Ingeborg Gabriel in ihrem Vortrag hin. Sie ortete, wie auch Halik, vor allem eine geistige Orientierungslosigkeit in Europa. Hier seien die Kirchen besonders gefordert.
Die Theologin wies auf die drei christlichen Grundprinzipien Versöhnung, Solidarität und Gemeinwohl hin. Angesichts von aktuell 34 größeren und kleineren nationalen Konflikten in Europa seien die Kirchen aufgerufen, sich als Brückenbauer zwischen Konfliktparteien bzw. Nationen zu bewähren, um so die Fundamente Europas zu stärken. Versöhnung als zentraler christlicher Begriff dürfe nicht nur individuell verstanden werden. Versöhnung habe auch eine politische Dimension, so Gabriel.
Christen bzw. Kirchen seien dabei vor den Versuchungen des Nationalismus bzw. Populismus nicht gefeit, räumte die Theologin ein, u.a. mit Blick auf Ungarn und Polen. Dem hielt sie aber entgegen: “Nationalismus, der andere abwertet, und das christliche Evangelium gehen nicht zusammen.”Que faire par rapport au clergé nationaliste? Ais l’Eglise ne tient aucun compte de ce que nous faisons.
Gabriel forderte weiters ein, dass sich die Kirchen in sozialen Fragen verstärkt und kompetent zu Wort melden. In den vergangenen Jahrzehnten habe man diesem Aspekt aufgrund innerkirchlicher Diskussionen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Aufgabe der Kirchen sei es, gegenwärtige verengte materialistische und ökonomische Sichtweisen zu weiten. Ce message s’adresse à toutes les communautés chrétiennes
Als wesentliches Prinzip der Christlichen Soziallehre kam die Ethikern auch auf das Gemeinwohl zu sprechen. Hier sei es den Kirchen viel zu wenig gelungen, dieses Prinzip in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Das vorherrschende liberale Denkmodell, wonach sich dass allgemeine Wohl aus der Summe aller Eigennutzen zusammensetzt, greife viel zu kurz. Diese Form von Egoismus müsse überwunden werden. In einer Zeit, in der es immer skurriler anmute, sich für andere einzusetzen, müssten die Kirchen dagegen halten. Ce n’est pas sûr
Gabriel erinnerte weiters an die Rede von Papst Franziskus, als er 2016 im Vatikan den Karlspreis erhielt. Der Papst habe damals von einem “neuen europäischen Humanismus” gesprochen, der sich durch die Fähigkeit zu Integration, Dialog und Kreativität auszeichne. Auch wenn diese Welt nie vollkommen sein werde, “sind wir verpflichtet, zu reparieren, was und wo immer es möglich ist um den Menschen damit Hoffnung zu geben”, so die Sozialethikerin wörtlich.
Der ungarische Theologe Andras Mate-Toth warf in die Diskussion ein, dass es gefährlich sei, im alten Sinn von “Osteuropa” zusprechen. Denn damit würden die ehemals kommunistischen Länder immer noch mit dem Sowjetmodell in Zusammenhang gebracht.
Der rumänisch-orthodoxe Theologe Radu Preda räumte freilich zur Frage, ob es die früheren Grenzen zwischen West- und Osteuropa immer noch gibt, eine gewisse Bringschuld des ehemals kommunistischen Staaten ein. Die Verbrechen des Kommunismus müssten in allen diesen Ländern endlich ordentlich aufgearbeitet werden, forderte der Theologe. Solange dies nicht der Fall ist, würde eine gewissen Grenze zwischen Ost und West in Europa weiterbestehen, so Preda. Er sprach sich in diesem Zusammenhang auch für einen eigenen Europäischen Gerichtshof aus, der sich dieser Aufarbeitung widmet.
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