09.01.2013, Georg Geiger

Image Nach Kopernikus (die Welt steht nicht im Zentrum des Weltalls), Darwin (Evolution) und Freud (der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus) nun die VUKA-Welt als „vierte Kränkung“. Die Welt von heute ist volatil, unsicher, komplex, ambivalent. Barbara Guwak und Matthias Strolz bringen im Goldegg-Verlag das Programm ihrer Coaching-Firma „Promitto“ (lateinisch für wachsen lassen, [?] vgl. S 174) in Buchform heraus. Die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Prozesse der Welt von heute seien volatil, d.h. von sprunghaftem Auf und Ab gekennzeichnet. Nicht nur die militärische, auch die ökologische und ökonomische Unsicherheit wächst, wird immer noch größer. Die Gesellschaft ist von solcher Komplexität, dass vieles undurchschaubar und unüberschaubar geworden ist und sich einer eindimensionalen Interpretation, jeglicher Knopfdrucklösung, entzieht: ambivalent.

 

Welche „Therapie“ ergibt sich aus der vorgelegten Diagnose? „Es gibt nicht die eine richtige Antwort“. (S 120) Vielmehr ist im Gegensatz zum banalen Entweder-Oder (Dilemma) ein vierdimensionales „Tetralemma“ (zusätzlich ein Sowohl-Als auch und ein Weder-Noch) angebracht. Sie „plädieren für eine Weltsicht, die der Mehrdeutigkeit und Unüberschaubarkeit der Welt Rechnung trägt“. (S 51) Die meisten Entscheidungen müssen nach mehrfachen Kriterien getroffen werden. Insbesondere Führungskräften, aber auch jedem einzelnen empfehlen die beiden Autoren zur Selbstkompetenz den Erwerb bzw. die Stärkung von fünf Prinzipien: Identität, Beziehungsfähigkeit, Signalresonanz (sensible Aufmerksamkeit und taktvolles Reaktionsvermögen), Ambiguitätstoleranz (Aushalten von Ungewissheit), Resilienz (Widerstandsfähigkeit gegen Leid und Unglück). Im „Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen“ (S 181) und mit einer klaren Zukunftsorientierung sowie verlässlicher sozialer Vernetzung kann es dem Menschen von heute gelingen die VUKA-Welt zu bewältigen.

Ist die „vierte Kränkung“ wirklich genauso gravierend wie die vorangegangenen, die inzwischen von einer kritisch/gläubigen Theologie bewältigt worden sind? Und hätte nicht die Religion längst passende Antworten bereit? Der achtfache Pfad des Buddha, die Weisungen der Bergpredigt Jesu, die Rechtleitungen des Koran, das Memento mori des Mittelalters, die  Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola oder die Logotherapie von Viktor Frankl scheinen diesem Buch als Steinbruch gedient zu haben. Obwohl einmal Glaube als „Kulturtechnik“ und „Ausdruck einer tiefen ethischen Überzeugung“ (S 212f) gewürdigt wird, wirkt es wie eine säkularisierte Sammlung ehemals religiöser Maximen. Das Zweite Vatikanische Konzil empfiehlt (nicht nur) für die Priesterausbildung, sich für die Seelsorge die Erkenntnisse der modernen Humanwissenschaften zu eigen zu machen. In diesem Buch ist es fast umgekehrt. Dennoch kann es als Hilfestellung zur erfolgreichen Lebensgestaltung, nicht nur für Führungskräfte, beitragen.

GEORG GEIGER from Wir sind Kirche Austria

 BARBARA GUWAK/MATTHIAS STROLZ, DIE VIERTE KRÄNKUNG. Wie wir uns in einer chaotischen Welt zurechtfinden. Goldegg-Verlag , Wien 2012, 245 Seiten, Preis: € 24,90, ISBN: 978-3-902729-98-9