Die internationale Tainacher Sommertagung 2018 des Katholischen Akademikerverbandes und des Katholischen Bildungshauses Sodalitas zum Thema „Nachdenken über ein Europa der Zukunft“ startete am Samstagabend mit einem Brainstorming der rund 30 Teilnehmer aus Slowenien, Slowakei, Ukraine und Österreich.
Ausgehend vom Anliegen der Gründungsväter, Robert Schuman, Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi, den immer entsetzlicheren Kriegen in Europa ein Friedenskonzept entgegen zu setzen, wurde festgestellt, dass heute immer mehr nationale Interessen die ursprünglichen Ziele in den Hintergrund drängen. Heute leben wir in einem Europa, das sich seit 30 Jahren wesentlich verändert hat, insbesondere durch die Auflösung des Machtbereichs der UdSSR. Aus parteipolitischen Erwägungen werden EU-kritische Ressentiments in Wahlkämpfen gefördert, was europaweit zu Erfolgen europaskeptischer Parteien geführt hat.
Am Sonntag referierte der Erziehungswissenschaftler Univ.-Prof. Peter Stöger (Innsbruck) über die Werdung Europas und führte damit die im Brainstorming der Teilnehmer aufgeworfenen Bemerkungen weiter. Er betonte, dass angesichts der jahrtausendelangen widersprüchlichen Entwicklung zur heutigen noch immer unvollendeten Europäischen Union und der leidvollen Erfahrungen, die die Menschen des Kontinents machen mussten, nur im vorbehaltslosen Dialog eine Basis für die Verständigung auf die zukünftige europäischen Identität gefunden werden kann.
Zentral sieht Stöger dafür die Verständigung auf einen Heimatbegriff in aller Buntheit. „Diese Buntheit weiß, dass Europa mehr ist als EU, mehr als Euro, dass Europa bis zum Ural reicht, weiß, dass das Zentrum Europas in der Karpatho-Ukraine liegt.
„Vom Kleinen der Fangemeinschaft des dörflichen Fußballvereins, vom Pfarrcafé, über die Likegemeinschaft im Internet, bis hin zu einem Europa im Großen. Für viele zu groß, zu beschwerlich, zu unübersichtlich zu verbürokratisiert, vor allem zu abstrakt, trotz Interrail, Erasmus und europäischem Passformat. Der Name Europa kommt von Europé. Sie ist die Weitsehende“. Stöger betonte, das namengebende Europa sei dabei „ihre Weitsicht gegen eine extreme Kurzsichtigkeit einzutauschen.
Stöger stellte kritisch fest: Ein Europa, das nur mehr wirtschaftlich konzipiert ist, indem polnisches Rindfleisch über den Brenner nach Sizilien verfrachtet wird und dies unter haarsträubenden Bedingungen, ein solches Europa hat jeden, gar jeden Sinn verloren und ist nur mehr eine Zweckgemeinschaft zur Mehrung von Profit, auch wenn es nicht an Stimmen fehlen mag, die solches Tun in wirtschaftlich tragende Worte von einem doch gemeinsamen Markt kleiden mögen“. Nicht dass die kulturellen Momente fehlen würden; diese müssen in einem Europa der Zukunft allerdings größeres Gewicht bekommen.
Der ukrainische Univ.-Dozent Jaroslav Lopushansky illustrierte die Ausführungen Stögers über das geographische Zentrum Europas mit einem bei uns weitgehend unbekannten Zitat des bedeutenden Dichters Johann Gottfried Herder. Damals vor 230 Jahren war Griechenland so etwas wie der Sehnsuchtsort der Literaten der Deutschen Klassik. Herder sinnierte darüber, dass die Ukraine einst das „neue Griechenland“ sein könnte.
Lopushansky, der in der ukrainischen Universitätsstadt Drohobych lehrt und dort die vom österreichischen Außenministerium gestiftete Österreich-Bibliothek leitet, gab einen aus seiner persönlichen Erfahrung gespeisten eindrucksvollen Überblick über die Situation der derzeitigen Ukraine mit all ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten und drückenden sozialen Problemen. Trotz der kriegerischen Zustände im Osten des Landes und der russischen Annexion der Krim, zeichnete er kein Untergangsszenario, sondern sah durchaus kleine Fortschritte in der Entwicklung des Landes seit dem Zerfall der Sowjetunion – freilich noch Lichtjahre davon entfernt das „neue Griechenland“ des Johann Gottfried Herder zu sein. Sein Resümee: „In 20 Jahren wird die Jugend die Zukunft der Ukraine auf neue Gleise stellen“. Seine Hoffnung, dass das europäische Gleise sein werden. Ein starkes Europa der Zukunft, welches sich in der globalisierten Welt behaupten könne, brauche das Potential der Ukraine.
Ein literarisches Highlight war die Präsentation des Buches „Heimkehr“ ebenfalls durch Univ.-Dozent Lopushansky am Abend des Sonntags. Diese von ihm editierte und von der Österreich-Bibliothek und der Staatlichen Pädagogischen Ivan-Franko Universität Drohobych herausgegebene umfangreiche (500 Seiten) Anthologie des reichhaltigen schriftstellerischen Schaffens der Regionen Galizien und Bukowina ist quasi ein who is who der österreichischen und deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Neben dem Namensgeber der Universität Ivan Franko, sind Beispiele von 24 weiteren Autoren in der 2016 erschienenen 2. Auflage versammelt. Darunter finden sich bekannte Namen wie Martin Buber und Joseph Roth, der mit Ingeborg Bachmann zeitweise eng verbundene Paul Celan, Rosa Ausländer und Manes Sperber.
Der derzeitige Kärntner Diözesanadministrator Engelbert Guggenberger griff in seiner Predigt das Thema der Sommertagung auf und sagte, dass die EU als Friedensprojekt, als Ort der Solidarität konzipiert wurde, weil Europa in der ersten Hälfte des 20sten Jahrhundert leidvolle Erfahrungen gemacht hat. Wir müssen die Vision weiterführen und uns dafür einsetzen, dass Europa ein Hort der Bürger- und Menschenrechte bleibt. Guggenberger wies überdies darauf hin: „Der Ruf der Verbannung des Religiösen aus der Öffentlichkeit ist in Europa am stärksten.“ Er sieht darin eine aus der Aufklärung herrührende überzogene Kritik, weil für den Menschen die Antworten der Religionen unverzichtbar sind.
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